1992 St. Laurent vom Stein Josef Umathum, Burgenland

Nach der Besichtigung der Stiftskirche St. Julien in Brioude und der Kathedrale von Le Puy-en-Velay, dem Ausgangspunkt des Jakobsweges, genoss ich im Sommer 1995 im Restaurant „Le Pré Bossu“ zu Moudeyres einen Grand Cru aus Morey-Saint-Denis (1987). Ich verspürte, selbst auch frisch (genug) verliebt, eine Art florale Initiation (Who promised me a rose garden?). Seither zieht es mich zum
Burgundischen – on revient toujours à ses premièrs amours –, aber kaum ein Pinot kann sich mit der verklärten Erinnerung messen. Die Suche geht folglich immer weiter.

Unser St. Laurent bot mir das seltene Maß des Zusammenfallens innerer Bereitschaft und äußeren Anreizes. Das Universum dieses Weines beinhaltet vieles, was ein Mensch erahnen kann. Es bedürfte langer Kontemplation, alle vegetabilen (Rote Rübe, Krenwurzel), würzigen (getrocknete Küchenkräuter, Malve), „röstigen“ (Mokka) und floralen Düfte (Rose, oh reiner Widerspruch!) zu erfassen, all das eingebettet in einen cremig anmutenden Nektar von seltener Länge und Nachhaltigkeit.Viele Wege führen nach Frauenkirchen oder Santiago de Compostela. Wer die Gunst der Sinne (er)kennt, wird weder unseren Wein noch die Catedral del Apóstol je vergessen.

Die gelben Flechten, die ihre barocke Fassade überziehen, leuchten in der Abendsonne so überirdisch, dass es gleichgültig ist, wessen Gebeine darunter ruhen oder auch nicht. Sie wollen trotz der gesegneten Erde am Schnittpunkt alter Pilgerwege nicht recht glauben, dass unser autochthoner Wein anno 1995 (dem aufmerksamen Leser entgeht nicht die Synchronizität zu meiner Weinerweckung) bei der Verkostung des „International Wine Magazine“ in London alle vertretenen französischen Hochgewächse von Jadot, Chevillon, Bizet, Bouchard etc. hinter sich ließ? Dann kann ich nur noch auf Johann Nestroy verweisen: Die Wirklichkeit ist ein starkes Indiz für die Möglichkeit. (cit. Joe South u. R. M. Rilke)