Diesen Premier Cru (grenzend an Richebourg) habe ich ausgewählt, weil er für mich die Quint.essenz eines großen klassischen Burgunders darstellt: Er brilliert mit prächtiger, sortentypischer Himbeerfrucht, Hagebutten- und Jona-Apfel- Noten, untermalt mit fein verwobener Würze (Wacholder). Die balancierte Textur hat einen labenden süßen Kern und genau die richtige Prise Abgründigkeit (Balsamik, Selch-Aromen, Blut). Neben der geheimnisvollen Tiefe überzeugte mich vor allem die formidable Länge.
Die Franzosen sind ein bemerkenswertes Volk. Sie keltern seit Jahrhunderten den größten Wein, fegten das „Ancien Régime“ hinweg, bilden ein wahres Bollwerk des Laizismus gegen religiöse Intoleranz und überstehen Terroranschläge ohne xenophobe Massenpanik. Wer hierzulande während der Flüchtlingskrise einzelne „Hass-Postings“ im Internet gelesen hat, die offen zum Genozid aufriefen, wird nicht nur erschüttert sein, sondern sich auch die Frage stellen: Was würde in „felix Austria“ nach einem vergleichbaren Anschlag passieren? Das wollen wir uns lieber nicht ausmalen.
Der Journalist Antoine Leiris verlor beim Novemberanschlag in Paris vergangenes Jahr seine Frau und proklamierte sogleich auf Facebook und nun in einem Buch: „Ihr bekommt meinen Hass nicht!“ Das ist die (einzig) richtige Antwort auf den Wahnsinn. Sonst ernten die Terroristen das, was sie säen: Gewalt, Spaltung, Rache, Intoleranz, Verkapselung, Angst, Opfer-Habitus. Wir können die Brandstifter nur mit Mut und Toleranz besiegen.
Erheben wir also das Glas und gedenken wir aus gegebenem Anlass nicht nur der 400. Todestage der beiden Wegbereiter der Aufklärung Shakespeare und Cervantes, sondern auch der Philosophin Hypatia, die das geistige Zentrum ihrer Welt leitete (die Bibliothek von Alexandria) und vor genau 1.600 Jahren als „Heidin“ in einer Kirche ermordet wurde. Zum Genuss unseres funkelnden Burgunders harmoniert dann zweifellos John Lennons Song: „Imagine …“.
