Die 30 Jahre alten Hochgewächse aus der Bordelaise und die 20 Jahre alten Burgunder scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben, wäre da nicht der Trinkgenuss, den uns nur Weine bieten können, denen man ihre notwendige Reifezeit gegönnt hat.
Beide Jahrgänge wurden „ex ante“ unterbewertet, in Bordeaux gab es zumindest „Diskussionen“ im Vergleich zum Jahrhundert-Jahrgang 1982 (Robert Parker begründete seinen Ruf damit, dass er die Größe der ‘82er erkannte); in der Burgund fiel das Urteil im Vergleich zur Spitzenernte 1990 fast einhellig negativ aus. In zahlreichen Verkostungen zeigte sich für mich immer wieder, dass auch (angeblich) kleinere Jahrgänge eine fantastische Trinkfreude bieten, wenn die Weine zum richtigen Zeitpunkt getrunken werden. Die Überlegung, wann eine Flasche geöffnet wird, ist für den Weinfreund zumindest genauso wichtig wie die Ankaufsentscheidung.
Bordeaux 1983
Die Wachstumsphase der Weinstöcke und ihre Blüte im Juni waren perfekt. Es folgte ein selten heißer Juli. Die klimatischen Bedingungen kippten dann im August ins „Tropische“, da zur Hitze noch Regen kam. Unter diesen Einflüssen reifen die Trauben viel schneller als sonst. Rechtzeitig zur Weinlese änderte sich dann das Wetter wieder und der Herbst verlief mit viel Sonne und mit jener Trockenheit, die der Wein in seiner letzten Reifungsphase braucht. Die „tropische“ Wachstumsbeschleunigung machte den Wein fruchtig-aromatisch und die Feuchtigkeit erlaubte zudem eine reiche Ernte. Die meisten Güter ernteten Ende September bzw Anfang Oktober und erzeugten, wie wir nun verifizieren konnten, eine deutlich überdurchschnittliche Qualität. Die Verkostung nach 30 Jahren zeigt eine erstaunliche „Frische“, eine klare, prägnante Frucht (beim Cabernet teilweise brillante Cassis-Aromen) und eine griffige Mineralität. „Überreife Aromen“ finden sich in den wenigsten Weinen. Die Qualität war allerdings nicht konstant (St.-Estèphe, insbesondere Montrose, gefiel mir nicht; St.- Julien nur teilweise).
Flüssiges Gold
Die großen Gewinner der tropischen Bedingungen anno 1983 waren die Sauternes-Güter, deren Kreszenzen zu den Besten des Jahrhunderts gehören. Edelfäule gab es im Übermaß. Der Verkostung verdanke ich den besten d‘Yquem, den ich je genießen durfte. Dieser unglaubliche Wein schwelgt in anderen Sphären und ist dabei frisch und balanciert. Ich sehe ihn auch perspektivisch betrachtet vor 2001, aber auch vor 1967.
Burgund 1993
Jancis Robinson meint, dass Burgund 1993 auch deshalb unterbewertet worden sei, da es im Bordeaux ein solch schlechter Jahrgang war. Sie ortet daher eine Art französische Sippenhaftung. Im Frühjahr zeigte sich ein sehr gesundes Pflanzenwachstum, das nur einmal durch Hagel im Mai unterbrochen wurde.
Der Juli war feucht und relativ warm (Mehltau-Gefahr!). Im August war es konstant heiß, sodass die Zuckerwerte ständig anstiegen, während die Säure zufriedenstellend blieb. Starker Regen setzte erst ab 21. September ein. An der Côte de Beaune begann die Ernte um den 15. September, an der Côte de Nuits ein wenig später.
Die Trauben entwickelten sich gesund und mit relativ dicker Haut; sie überstanden daher auch einige Regentage vor der Ernte unbeschadet. Den Weinen wurde teilweise zu viel Tannin angedichtet, bevor sie überhaupt verkostet wurden. Tatsächlich zeigen sich die Weine balanciert und elegant, wobei die oft druckvolle Säure frisch und jugendlich wirkt Das Qualitätsniveau der Burgunder war durchgehend (!) beachtlich, wenn auch das Geschmacksprofil der Weine sehr unterschiedlich ist.
Balance.pur
Nach 30 bzw. 20 Jahren kann ein seriöses Urteil über die verkosteten Jahrgänge abgegeben werden. Beide feucht-heißen (tropisch wäre in der nördlich gelegenen Burgund kein passendes Attribut) Jahrgänge sind zwar nicht exzellent, aber sehr gut („outstanding“). Gemeinsam ist ihnen physiologisch die große Fülle an Gerbstoff und Tannin, naturgemäß relativ, bezogen auf die jeweiligen Traubensorten (CS, ME, CF in der Bordelaise; PN in der Burgund). Die Balance zwischen Reife, Aromatik und SäureRückgrat ist stimmig. Der Vorteil der etwas geringeren „Vintage Reputation“ ist, dass die Weine zum Teil noch verhältnismäßig günstig zu erstehen sind.
Die Besten
In beiden Regionen gelang es ausgewählten Produzenten, auch Weine im Weltklasse-Bereich zu keltern. Den Weinkenner wundert nicht, dass sich Margaux 1983 besonders gut präsentierte (es handelte sich um meine erste Flasche im dritten Versuch, die kein Kork-Problem hatte; mindestens die Hälfte der Chargen des Grand Vin 1983 auf Margaux hat einen Korkfehler). Die Händlerfüllung des ebenso berühmten Palmer 1983 war vergleichsweise nicht so berauschend. Sehr überzeugend war für mich der jugendliche Lafite, den auch Eric de Rothschild derzeit dem 1982er vorzieht. Latour und Cheval Blanc fanden ihre „Fans“, mir waren die Weine bereits zu tertiär bestimmt. Calon Ségur und vor allem Montrose sind nicht empfehlenswert. Bei den Burgundern gab es praktisch keine Ausreißer nach unten. Am auffallendsten waren Robert Arnoux‘ Échezeaux 1993 und Ghislaine Barthods Chambolle-Musigny Les Baudes (Premier Cru), die für mich beide in der Weltklasse anzusiedeln sind. Der Grand Échezeaux der Domaine de la RomanéeConti (DRC) zeigte sich noch zu verschlossen und abgründig; er benötigt wohl noch zumindest 10 Jahre. Hoffentlich finden Sie Gelegenheit, den einen oder anderen Wein der vorgestellten Jahrgänge zu genießen. Vergessen Sie dabei nie: Ceterum censeo, vinum non delendam esse.
Bordeaux 1983.pur
Die Verkostung wurde von Martin Buttinger (www.vin.at) organisiert und im Restaurant Amarantis am 19. April 2013 durchgeführt. Anwesend für wein.pur war Wolfgang Kiechl. Zuerst werden die beiden Weißweine beschrieben, dann die Rotweine in alphabetischer Reihenfolge.
1983 Domaine de Chevalier blanc Verhaltener und wesentlich frischer als Haut-Brion blanc. Steinobst. Weniger tertiär bestimmt. Sehr trocken, wirkt daher auch schlank.
1983 Château Haut-Brion blanc Wirkt für mich fehlerhaft (Kork), laut Veranstalter sei das die Ausformung der extremen Schwefelung. Stichige Nase, MedizinalTon, Baldrian. Allein die Säure ist intakt.
1983 Château Calon Ségur Auffallend transparentes Granatrot. Leichtgewichtig, dabei aber Mineralität nach Feuerstein. Himbeerfrucht.
1983 Château Cheval Blanc Vielleicht der Wein mit der „sü- ßesten Labung“ des Abends. Dabei aber physiologisch sehr reif. Erdig, balsamisch, abgründig, Feuerstein.
1983 Domaine de Chevalier Charmant und extravagant. Karamellig, um nicht zu sagen buttrig. Balanciert und saftig. Kaum Tertiär-Aromatik. Allerdings keine „klare Frucht“.
1983 Château Figeac Eine echte Überraschung. Von Parker wohl deutlich unterbewertet (85 Punkte). Schwarze Johannisbeere, florale Töne, Exotik nach „Physalis“. Passender Säure-Druck. Sicher nicht allzu dicht, dabei aber ungemein vielschichtig.
1983 Château Grand-Puy-Lacoste Reife, himbeerbestimmte Süße. Ausreichend dicht, nicht allzu elegant.
1983 Château Lafite Vergleichsweise frisch, Schwarze Johannisbeere, Cassis, Minz-Anklänge. Wirkt physiologisch jung, wenn auch die Tannine bereits angenehm mürbe sind. Später Weichsel, Salzigkeit. Sehr saftig.
1983 Château Latour Auch hier sehr „warme Aromatik“. Cassis, Extrakt-Tiefe und große Reife. Zedernholz.
1983 Château Léoville-Las Cases Sehr reife Cabernet-Töne, die schon in den Bereich der „schwarzen Olive“ gehen. Später rauchig und selchig. Dicht, aber nicht allzu elegant.
1983 Château Léoville-Poyferré Sehr reif und cremig, dabei allerdings auch noch frisch. Gut balanciert. Schwefelige Mineralität. Spürbare Säure. Ein beachtlicher Wein.
1983 Château Margaux Endlich eine saubere Flasche; mehr als die Hälfte dieser Füllungen hat ja ein Kork-Problem. Heute sehr klar, floral. Saftig, stoffig, extrem dicht. Ein großer Wein weit vor seinem Höhepunkt. Schwelgt in Cassis-Tönen, unterlegt mit leichter Röstaromatik. In dieser Verfassung 20 Jahre +.
1983 Château Marquis de Terme Auch dieser 4er Cru aus Margaux wusste zu überraschen. Jugendlich und frech, sogar „vegetabil“ am Anfang. Gewinnt im Glas und fächert sich auf. Für mich an diesem Abend besser als „Palmer“.
1983 Château Montrose Für mich fehlerhaft. Laut anderen Verkostern sei der Wein nicht besser. Da sind selbst Parkers 81Punkte noch zu viel.
1983 Château Mouton-Rothschild Die Tannine sind bereits sehr weich am Gaumen. Dabei allerdings präsente Säure und typische Röstaromatik. Exotik nach „Bananen“. Auch etwas erdig. Kommt bei vielen Verkostern gut an.
1983 Château Palmer Händlerfüllung Mähler-Besse Der höchstbewertete Parkerwein des Jahrgangs (98 Punkte) präsentiert sich heute in dieser Flasche physiologisch allzu reif und nicht annähernd so druckvoll und opulent wie zu erwarten. Röstaromen, reife CabernetTöne (roter Paprika). Anklänge von Trockenfrüchten.
1983 Château Pichon-Lalande Spiegelt sehr gut die „warme Aromatik“ des Jahrganges. Ins Harzige gehende Merlot-Würze, Zedernholz, dahinter Cassis. Spä- ter sogar „Blut“ (Eisen).
1983 Château d‘Yquem Eine Offenbarung. Für mich der beste d‘Yquem, den ich je getrunken habe (deutlich vor 2001, dem Parker 100 Punkte gab). Extrem klar und frisch. In keiner Weise durch irgendeine TertiärAromatik getrübt. Er ist extrem balanciert und nicht überbordend, sondern gerade süß genug. Die salzige Mineralität ist unfassbar. Vielfältigste Aromen, die sich mit der Glas-Oxidation ergänzen: Orangenzesten, Obers, exotische Noten nach Kokos. Ein frecher, integrativer „Medizinal-Ton (Zahnarztpraxis!)“, wirkt für mich belebend. Den zuletzt gekosteten d‘Yquem 1989 (98 ParkerPunkte) sehe ich weit dahinter. Besser geht’s kaum.
Burgund 1993.pur
Diese Verkostung wurde ebenfalls von Martin Buttinger organisiert und im Restaurant Amarantis am 21. Juni 2013 durchgeführt. Anwesend für wein.pur war Wolfgang Kiechl. Die Weine wurden alphabetisch nach Erzeugernamen beschrieben.
1993 Robert Arnoux Clos de Vougeot Für mich frech und jugendlich! Massive Säure, die aber nicht störend, sondern lebendig wirkt. Mineralik und Himbeer-Aromen. Der Wein ist noch nicht am Zenit.
1993 Robert Arnoux Échezeaux Am heutigen Tag vielleicht der rundeste und beste Wein. Außerordentlich elegante Würze. Klare Balance. Elitäre, nicht aufdringliche Himbeer-Aromatik. Keine TertiärAromen.
1993 Robert Arnoux Vosne-Romanée Les Suchots Kork! 1993 Domaine de la Romanée-Conti Grand Échezeaux Dieser Wein ist mit seiner kühlen Aromatik „outstanding“ in der Serie. Er lebt durch die feine Kräuter-Würze und zarte Frucht (Cassis-Richtung). Wirkt sehr elegant, dabei aber auch abgründig. Rauchige Anklänge nach Holzkohle. Charakterstark, wird mit der Luft immer besser. Noch nicht am Zenit und könnte in der Zukunft vielleicht noch in die Weltklasse gelangen.
1993 Geantet-Pansiot Charmes-Chambertin Dichte, klare, sortentypische Struktur. Deutliche, aber nicht vordringliche Würze. Mineralisch.
1993 Ghislaine Barthod Chambolle-Musigny Les Baudes Die Überraschung des Abends: Welch florale Pracht (Pfingstrose!), Himbeerblüten und dahinter Himbeere „pur“! Dicht genug, elegant, markante, integrierte Säure. Ein Parade-Burgunder in der Weltklasse!
1993 Ghislaine Barthod Chambolle-Musigny Les Beaux Bruns Zuerst sogar leicht harzig. Sehr vollmundig und reif am Gaumen. Pralle, weit entwickelte Himbeerfrucht. Lebendig durch die gute Säurestruktur.
1993 Ghislaine Barthod Chambolle-Musigny Les Cras Erstaunlich, wie die nahe beieinanderliegenden Lagen differieren. Eine ganz andere Aromatik: rauchig. Weichselschalen. Starke Würze, die sich im Glas immer weiter verstärkt.
1993 Ghislaine Barthod Chambolle-Musigny Les Veroilles Die Lage ist an der Hügelspitze, teilweise im Baumschatten. Zurückhaltend und sehr jung. KirschAromatik. Bitterstoffe, aber weniger komplex und vielschichtig als die anderen Lagen.
1993 Domaine Anne Gros Clos de Vougeot Le Grand Maupertui Dieser Burgunder ist weich und hat Charme! Fast dunkelbeerig. Feine Röstaromatik. Komplex, sogar Moschus-Anklänge. Vergleichsweise aber weniger Druck.
1993 Dominique Laurent Clos de la Roche Wirkt am Anfang in der Nase etwas auffällig. Dies kommt angeblich vom doppelten Toasting. Der Stoff wird mit der Luft nicht schlechter, sondern besser. Derzeit noch verschlossen, wobei sich zarte florale Noten ankündigen. Noch nicht im Zenit.
1993 Domaine Ponsot Clos de la Roche Vieilles Vignes Vordergründig ist die elegante Röstaromatik, er wirkt aber nicht platt, sondern gehaltvoll. Dahinter Würzaromen, klare Frucht. Sehr edel, wenn auch 99 Parker-Punkte im Vergleich nicht nachvollziehbar sind.
1993 Domaine Armand Rousseau Chambertin Jona-Apfel, Himbeere, wirkt sehr kompakt. Integrierte Bitterstoffe. Sehr animierend. (Die 88 ParkerPunkte sind deutlich unterbewertet.)
1993 Château de Vosne-Romanée La Romanée Die Nachbarlage von La Romanée-Conti. Etwas verhaltene Nase, jugendliche Säure. Kühle Aromatik: zitronig. (Die 77 Parker-Punkte sind natürlich ein Witz.)