Diese beiden großen Rieslinge zeigen, wie weit das mögliche Aromenspektrum dieser Sorte reicht: Von betörendem Maiglöckchen-Duft (Botrytis-evoziert 1995) bis zu floral anmutender Würzigkeit wie bei blühenden Kastanienbäumen (1975)! Unsere Weine changieren damit zwischen den beiden existenziellen Düften des Lebens. Wenn die These auch umstritten ist, locke die weibliche Eizelle laut Studien der Universitäten Bochum und Los Angeles das Heer der mit Rezeptoren ausgestatteten Spermien mit Maiglöckchen-Geruch (exakter mit dem Aldehyd Bourgeonal), während diesen wiederum – für jedermann/frau faktisch leichter verifizierbar – ein Kastanienblüten-Duft nachgesagt wird (ursächlich sei hier die Oxidation mit dem Prostata-S ekret Arginin).
Über den oft unterschätzten Geruchssinn nimmt der Mensch 20 Prozent seiner Umwelt war; Neugeborene erkennen bereits nach zwei Stunden die spezifische Muttermilch (Axel/Buck, Nobelpreis für Medizin 2004). Das kollektive Geruchsgedächtnis der Menschheit umfasse mehr als eine Billion Gerüche. Wir Weinliebhaber haben die Freude, dieses olfaktorische System intuitiv und/oder bewusst bei jedem Glas und Schluck erleben zu dürfen. Ob nun bei (unmäßigen) Weintrinkern auch eine „oralerotische“ Fixierung (so Sigmund Freud) vorliege oder nicht, tut diesem Genuss keinen Abbruch. Etwas (zu) weit ging Sigmund Freud wohl, als er die edlen Tropfen gar mit idealisierten Liebesersatzobjekten assoziierte.
Lenken wir unsere Aufmerksamkeit von der Metaebene wieder ins Innere der Rieslinge. Dann finden wir vibrierende Mineralität, die sich in jodiger Salzigkeit (1995) und seidiger Steinigkeit (1975) ausdrückt. Die Weinstöcke dieser Einzellage wachsen auf Dolomit, Muschelkalk und darunter rotem Vogesen-Sandstein. Letzterer strahlt nicht nur verborgen in den verkosteten Weinen, sondern offen und nachhaltig als Baustein des Straßburger Münsters in der Abendsonne.
Santé!