Vertikale: 20 Jahre Comondor

Zwanzig Jahre Comondor1990 füllten Anita und Hans Nittnaus das erste Mal ihre Prestige-Cuvée; seither wurden uns (ausgenommen 1995 und 1996) 19 Jahrgänge beschert.

Auf dem Titelfoto, das auch seine Homepage ziert, ähnelt John Nittnaus dem versteckten Selbstporträt Michelangelo Meresis als Haupt des Goliaths (im „David“ von 1607, Villa Borghese/Rom, nicht zu verwechseln mit jenem im Kunsthistorischen Museum/Wien). Ist Nittnaus der Caravaggio des burgenländischen Weinbaus? So wie dieser den akademischen Manierismus (übertragen auf die Weinwelt ist dies die Bordeaux-Stilistik, an der alles gemessen wurde) überwand und einen neuen ungekünstelten Weg zum Naturalismus fand, prägte Nittnaus mit seinen Ideen und seiner Leidenschaft, im Kreise großartiger Winzerkollegen, die burgenländische Rotweinszene nachhaltig.

Die von ihm (mit)inszenierten Ideen „Pannobile“, die Weiterentwicklung desselben (nur noch autochthone Sorten) und des Leithaberg DAC sind Meilensteine der Neuerung. Die Entwicklung des „Comondor“ ist exemplarisch für die Schaffenskraft von John Nittnaus. Die Namensgebung bleibt bodenständig im pannonischen Umfeld verwurzelt. Der ungarische Hirtenhund (Comondor) mit zotteligem Fell, das selbst Wölfe und Bären schwer durchdringen können, ist ein Traum von John Nittnaus. Er möchte das kaum zähmbare Geschöpf aber seinen Besuchern nicht zumuten.

Zwanzig Jahre Comondor 1Der Weg ist das Ziel

War der Winzer im Jahr 1990 noch glücklich über die ersten reifen Cabernet-Trauben und beseelt vom Wunsch, eine internationale Cuvée zu erschaffen, die sich mit Bordeauxweinen messen könne, änderte sich alles mit der Entscheidung, seit 2004 auf Cabernet Sauvignon zu verzichten (ausgenommen ein Minimalkontingent gezogen auf 0,2 ha in guten Jahren).

Nittnaus erkannte, dass Cabernet Sauvignon im pannonischen Klima meist keine vergleichbaren Ergebnisse erzielen kann wie am linken Ufer der Gironde. Manchmal ist er etwas zu grün, oft sind die Tannine etwas zu unrund und dann ist er wieder überkocht. Für die Struktur des Weines reicht Merlot, der anteilsmäßig immer weiter „zurückgefahren“ wird: Letztstand ist ein Anteil von knapp über einem Drittel. Die Barriques wurden 2005 zugunsten großer Holzfässer (500 Liter) aufgegeben. Wo der Weg hinführen wird, steht noch nicht fest.

Klar ist nur, dass Nittnaus niemals ganz zufrieden ist und wie ein Künstler mit sich ringt, um das beste Resultat zu erzielen. Dies ist auch der kleinste gemeinsame Nenner der verkosteten Flaschen und Fassproben. Die Serie hat keine (sic!) gemeinsame Identität des Stils, der Traubensorten oder des Terroirs. Der Schöpfer wollte schlicht aus den jeweils besten Trauben den besten Wein machen. So ist der Comondor stets Ausfluss der momentanen Kreativität eines Weinkünstlers. Dies ist ein beachtlicher Ansatz und ist auch in einigen Jahrgängen hervorragend gelungen, etwa 1999, 2000, 2006 und 2007. Besonders saftig, trinkreif und elegant sind derzeit die Jahrgänge 2001 und 2002.

Ausblicke

Mit seinem neuen Anspruch geht Nittnaus ein Wagnis ein: Wie etwa der beachtliche 2007er Comondor zeigt und die Fassproben von 2009 und auch 2008 versprechen, entstehen gewaltige Weine, die aber viele Jahre brauchen werden, um sich charmant zu öffnen und ihre KomplexitäZwanzig Jahre Comondor 2t zu entfalten. All jene Konsumenten, die einen Wein kaufen, um ihn in den ersten Jahren auszutrinken, werden nicht bedient.

Belohnt werden jene Weinliebhaber, die den Wein als kostbares Kulturgut schätzen, beobachten und erst dann öffnen, wenn er wirklich trinkreif ist. Auch Caravaggio kümmerte sich nicht um den Geschmack seiner Zeitgenossen und wurde 300 Jahre hindurch in seiner Genialität verkannt. So schlimm wird es John Nittnaus nicht ergehen. Weinliebhaber, die einen Comondor erstehen und nur die Primärfrucht der ersten Jahre finden wollen, seien auf günstigere und zugänglichere Weine verwiesen.

Die Caravaggisti unter den Weinfreunden werden jedoch noch viel Freude mit dem Schaffensweg der Familie Nittnaus haben: International anmutende Cuvées gibt es genug im Lande. Mir persönlich ist Caravaggio lieber als Rubens, der es verstand, den Durchschnittsgeschmack der Genussmenschen seiner Zeit zu bedienen. Freuen wir uns über das weite Spektrum österreichischer Weine. Die lebendige Vielfalt ermöglicht jedem die Wahl. Suum cuique – jedem das Seine.