1997 Riesling Dürnsteiner Kellerberg F. X. Pichler

Mineralische Spannung ist der erste Eindruck, aber die Quarztönigkeit ist nur das Rückgrat. Ungezählte Düfte eröffnen uns einen Spätsommergarten: zuerst Gemüse (Fenchel, Artischocke, Küchenkräuter), später florale Wolken von Blumenwiesen. Botrytis ist nur intuitiv, Petrol homöopathisch wahrnehmbar. Dieser Riesling ist noch unverschämt frisch, geradezu grün im besten Wortsinn, nicht hinter den Ohren, sondern in prickelnder, lasziver Expression. Die Ex(!)otik hält sich zurück, nicht aber kokette mystische Abgründigkeit.

Ich denke dabei an die schwedische Künstlerin Lykke Li (lykkeli.com, „Get Some“); und an Caravaggios Knabenbilder, die ihn – so dialektisch kann Kunst sein – vor der Inquisition schützten. Wer richtet gerne den Schöpfer, der solche Wirkung (auf den Richter selbst) erzeugt. Am Hofe des päpstlichen Günstlings Monsignore Pucci hielt Caravaggio, inspiriert durch die Kohlezeichnung der Sofonisba Anguissola, um 1595 erstmals in der Malerei (fotografisch) den Augenblick fest, in dem ein Knabe mit schmutzigen Fingernägeln und einschlägiger Pose, von einer Eidechse gebissen wird. Dem Jungen wird dabei (allegorisch) wohl auch schlagartig der Schmerz der körperlichen Liebe bewusst. Der Konventionsbruch schadete dem Maler nicht, vielleicht einfach deshalb, weil Kunstsinnige (wie die Päpste Clemens VIII. und Paul V.) sein begnadetes losgelöstes Genie erkannten, das ihn irdischen Urteils entheben sollte.

Wahre Größe finden wir auch in unserem Wein, wobei wir deren Ausdruck und Wirkung nicht festhalten, sondern nur in Erinnerungsmuster und Worte wandeln können. Gleichwohl wie dem gebissenen Knaben gehört uns ohnehin immer nur der Augenblick (so Marcus Aurelius), mehr besitzen wir nicht und mehr können wir auch nicht verlieren.