Château d‘Yquem 1983, Sauternes

Wir verdanken es Rose Valland und einigen mutigen Amerikanern und Österreichern, dass das von den wirklich Entarteten nach Bad Aussee verbrachte Weltkulkturerbe davor bewahrt wurde, gemeinsam mit seinen Dieben unterzugehen. Vallands Liste wies den Weg zu einzigartigen Schätzen, und ich muss dabei an ein Kellerbuch denken, das alchemistische Geheimnisse birgt, etwa flüssiges Gold aus der Sauternes!

Das Kulturgut Wein hat ein Flaschenleben, das seinen aladinischen Geist preisgibt, wenn es entkorkt wird. Der dadurch vermittelte Genuss sei, so Goethe kokett, nicht bloß vorübergehend, da sein Eindruck ja bleibe. Edler Rotwein kann 70 Jahre und länger reifen; was er an Kraft verliert, gewinnt er oft an Komplexität.

Werke bildender Kunst und der Architektur haben bei entsprechender Pflege ein längeres Leben. Da kann nur ein Sauternes mithalten. Das Gold aus dem Hause Yquem (z.B. 1811, 1847, 1921 …) konserviert seine Offenbarung auf unbestimmte Zeit und wird so manches Bauwerk überdauern. Ein Geheimnis unseres aus Sémillion (ca. 80 %) und Sauvignon blanc gekelterten, balancierten Meisterwerkes liegt in der frühen Ernte (ab 29. 9.1983). Er verhüllt seine galante Süße (ca. 120 gZ/l) daher mit klirrender Säure und schwelgt in salziger Mineralität. Sein höchstbewerteter Bruder aus 2001 (150 gZ/L) erscheint im Vergleich allzu schwer (… gut, warten wir 100 Jahre …).

Die Geruchs- und Geschmacksnuancen paaren sich mit Luft und erfinden sich laufend neu (Honig, Marzipan, Früchte aller Art, Exotik …). Der auffallende dämonische Medizinal-Ton wird bei Nichtalchemisten vielleicht Unbehagen auslösen; er ist der Brunnen seiner fast ewigen Jugend. Unser Yquem ist die Inkarnation von Pathos und Dekadenz. Sein glorreiches Ebenbild in der Kunst ist Adolf Hiremy-Hirschls Monumentalbild „Die Seelen am Acheron”. Ich sah das Bild im Belvedere am selben Tag, als ich unseren Wein genoss. Zweifellos: Rettung suchende Seelen drängen sich stets um die heilbringende Macht.