Chateau Haut Brion – Stadtsymphonien

Das älteste, kleinste und südlichste Weingut unter den Premier Grand Crus erzeugt aromatische, nachhaltige Weine in rot und weiß, die stets mit Extravaganz kokettieren

Chateau Haut Brion

Es beginnt bei der leicht konischen Flaschenform, die den leidenschaftlichen Sammler manchmal zur Weißglut treibt, da sich die Gebinde außerhalb der Kisten kaum risikolos stapeln lassen. Das Château ist zudem völlig im urbanen Raum aufgegangen. Zwei Weltklasseweingüter (auch der unmittelbare Nachbar La Mission Haut-Brion), umgeben von insgesamt 65 Hektar Weinbergen, liegen mitten im Stadtgebiet!

Selbst regelmäßige Bordeaux-Besucher benötigen ein Taxi, um das Château in der Vorstadt Pessac aufzufinden. Auf das Terroir hat dieser Wandel keinen Einfluss, aber sicher auf das Mikroklima. Geschadet hat es dem Weingut offenkundig nicht: Der aktuell gefüllte Jahrgang 2009 dürfte, 20 Jahre nach dem Superstar von 1989, wieder ein legendärer Wein werden. Gerade in sehr heißen Jahren (z.B. 1989, 1998, 2006) werden hier, mitten in der sicher nicht kühlenden Stadt, erstaunlicherweise oft weit überdurchschnittliche Weine erzeugt.

Chateau Haut Brion 1

Terroir und Vinifikation

Die „Weinhügel“ mit durchschnittlich etwa 35 Jahre alten Stöcken erheben sich bis zu einer unauffälligen Höhe von 12 bis 15 Metern, bieten aber ausreichend Drainage. Es handelt sich, wie meist in Bordeaux, um Schwemmland: Kies, Sand und Lehm, das die Garonne aus den Pyrenäen angeschwemmt hat. Prägend für das besondere Terroir sind hier die regelmäßigen Einschlüsse von weißem Quarz. Später wurden größere Steine angeschwemmt, die dies als Basismaterial bedecken und optisch signifikant für die Weinberge sind. Bereits 1961 vertraute das Château als erstes der großen Güter auf Stahltanks und führte somit federführend neue Maßstäbe der Kellertechnik ein.
Heute vergärt der Wein, natürlich temperaturkontrolliert, relativ rasch in 15 bis 20 Tagen in besagten Tanks und wird dann, je nach Jahrgang, zur Gänze 22 bis 26 Monate lang in neuen Barriques ausgebaut. Die Fassreifephase ist daher die intensivste aller „Premiers“ und signifikant länger wie auf Latour oder Lafite. Spürbar ist das Toasting in den jungen Weinen (oft in Form von Lakritze-Noten wie etwa 2000), die das Holz aber mit der notwendigen Flaschenreife meist problemlos verarbeiten. Für eine sagenhafte personelle Kontinuität sorgte der renommierte Kellermeister Jean B. Delmas, der von 1961 bis 2003 technischer Direktor war (zusätzlich ab 1983 auf La Mission Haut-Brion) und die Geschicke der Güter, mit Zustimmung der amerikanischen Besitzerfamilie Dillon, in die Hände seines Sohnes Jean Philippe Delmas legen konnte.

Aromatik.pur: Heftig geliebt auch vom Papst!

Gerade unter Bordeaux-Kennern gibt es viele Fans von Haut-Brion. Immer wieder hört man das Prädikat „Trinkspaß“. Der Papst selbst (Robert Parker) gesteht, dass die markanteste Veränderung seines Geschmackes darin liege, dass ihm Haut-Brion mit zunehmendem Alter immer besser schmecke. Ich erkläre mir das mit der meist sehr hohen Extraktsüße, die für Balance und unmittelbaren Genuss sorgt, und mit der markanten Aromatik. Der MerlotAnteil der Cuvée ist meist ähnlich hoch wie jener des Cabernet Sauvignon, hinzu kommt etwa ein Fünftel Cabernet Franc, der hier für besondere „Exotik“ sorgt. Die große Vertikalverkostung, die ich für diesen Artikel besuchte, zeigt wieder, dass Haut-Brion einen hohen Wiedererkennungswert hat. Oft finden sich in großen Jahrgängen Lehm- und Erdtöne, in kleineren Jahrgängen rustikale „Stallaromen“; für Ersteres dürfte der Merlot verantwortlich sein, für Letzteres der Cabernet. Bedingt durch die Zusammensetzung ist gereifter Haut-Brion auch heller und weniger opak als die anderen „Premiers Crus“, also eher granat- als rubinrot.

Das Maß der Weine

Die Verkostung macht mir allerdings auch deutlich, dass Haut-Brion im letzten Jahrhundert viele sehr gute und ausgezeichnete Weine, aber nur eine Handvoll Weltklasseweine erzeugte, die allerdings zum Maß aller Dinge gehören. Ähnliches gilt für den Weißwein, der vielleicht wegen der geringen Menge (ca. 8.000 Flaschen) immer noch nicht qualifiziert wurde und als „Château Haut-Brion“, ohne weitere Zusätze, verkauft wird. Er gilt als der beste „Blanc“ des Bordelais und als einer der größten Weißweine der Welt. Das erklärte Ziel der Cuvée aus Sauvignon blanc und Sémillon (Cuvée je nach Jahrgang schwankend, aber in etwa ausgewogen) ist in der Tat ambitioniert: die Aromenvielfalt der Sauternes-Sorten in einem trockenen Weißwein zu bieten! Das gelingt nur in ausgewählten Chateau Haut Brion 2Jahren, die Schwankungen sind beträchtlich.

Bei einem gereiften „Haut-Brion blanc“ braucht man zudem Flaschenglück, die Lagerbedingungen sind von entscheidender Bedeutung. Bereits 20-jährige Weine zeigen sich sonst schon oxidativ. Während etwa Lafite preislich in ungeahnte Höhen abhebt (ganz Asien will ihn!), ist eine Flasche Haut-Brion oft schon um den Preis des Zweitweines von Lafite zu bekommen. Unter Heranziehung qualitativer Kriterien ist das natürlich absurd, führt aber zu einem derzeit erfreulichen Preis-Leistungs-Verhältnis. Umgerechnet auf heutigen Geldwert war Haut-Brion, als damals teuerstes Gut, vor der Französischen Revolution und um 1870 um ein Vielfaches (!) teurer als jetzt. So gesehen finden wir vielleicht noch ein (relatives) Schnäppchen, jedenfalls aber extravaganten Genuss.

Geschichte.pur

Weinbau auf dem Terroir ist zurück bis 1423 tradiert. Das traumhafte Chateau wurde zu Beginn des 16. Jhts von Jean de Pontac geplant und errichtet. Der visionäre Mann wurde über 100 Jahre alt, heiratete 3 Mal und zeugte 15 Kinder. Sein Sohn Arnaud verfeinerte den Weinbau und die Kellertechnik. Erstmals verkaufte er den Wein auch unter seinem Namen „Haut Brion“. Der Ruf und der Preis des Weines stiegen kontinuierlich und fanden Liebhaber nicht nur am Königshof (wenn auch Kardinal Richelieu den von Mönchen erzeugten Wein des Nachbargutes La Mission Haut Brion bevorzugte), sondern auch in England und, gefördert vom omniprä- senten Thomas Jefferson, in den USA. Während der französischen Revolution wechselten die Eigentümer, sogar Talleyrand besaß das Gut kurz. 1855 wurde Haut Brion bei der Pariser Weltausstellung eines von damals nur 4 „Premier Grand Cru Classe“-Gütern und ließ bis 1870 beim Weinpreis alle Güter hinter sich. Schädlingsbefall und letztlich die Reblaus führten zum Niedergang; die Neubepflanzung dauerte bis ins 20. Jahrhundert. 1933 erwarb die amerikanische Familie Dillon das Gut und hält es bis heute im Familienbesitz. 1983 konnten die Geschwister zusammengeführt und auch La Mission Haut Brion erworben werden.