Sori Tildin 1985, Angelo Gaja

Wie oft wird der Veilchenduft der Nebbiolo-Weine beschworen. Diese Cuvée aus den Trauben einer Barbarescoeinzellage mit wenigen Prozent Barbera hat ihn klar und nachhaltig! Sie lässt den gleichzeitig verkosteten Sassicaia 1985 (aus der Magnum) alt aussehen, Letzterer würdig gereift zwar und in Tabaknoten schwelgend, aber Beute frecher, atemberaubender Jugend. Stellen Sie sich Guido Renis David vor, fast noch pubertierend mit rotem Käppchen und schwingender Feder, das Haupt des Goliath wie ein Stofftier unter der Hand. Große Kunst: geziert, lasziv und doch einfach gestrickt.

Wie unser Sori Tildin, der sich in ungetrübter Frische öffnet und mit Veilchen bekränzt, die Heinrich Heine besingt: „Die Veilchen kichern und kosen; und schau‘n zu den Sternen empor“ oder die Bauern, weniger poetisch, aber genauso treffend: „Es riecht so laut!“ Das Glas riecht lauter wie eine Wiese Violas. Da der Duftstoff des Veilchens nur bei hoher Konzentration wahrnehmbar ist, verliert er sich oft nach kurzer Zeit. Dieses Problem haben wir Weinfreunde nicht. Die Älteren unter uns haben vielleicht auch einen gesundheitlichen Effekt: Veilchenduft sei Labsal für die Prostata. Die Dufttherapie ist bei olfaktorisch fixier ten Geschöpfen niemals vergeudet; sie wirkt stimulierend und harmonisierend. Und so führt die Komplementärmedizin den Veilchenduft ins Metaphysische wie Guido Reni Triumph und Schmerz (zu Renis Kreuzigung Navid Kermani zuletzt in der NZZ).

Trotz der Stirnwunde posiert Goliath friedlich schlafend wie eine Marmorbüste zeitlos auf seinem Sockel. Auch der ungestörte Weingenuss führt uns in ungeahnte Höhen, nur begleitet von Franz Schuber ts D 795, op. 25 („Die schöne Müllerin“, Text: Wilhelm Müller): „Ihr Blümlein alle, Die sie mir gab, Euch soll man legen, Mit mir ins Grab?“