Steinzeiler 1979

Beginnt die Zeitrechnung des österreichischen Weinwunders erst 1997, die Legendenbildung 1986? War vor der skandalumwobenen Grablegung der Mittelmäßigkeit Anno Domini 1985 nichts? Vergessen scheint der Jahrhundertjahrgang 1979 mit seinen tanningeschwängerten und expressiv farbtiefen Rotweinen.

Auf steinernen Zeilen an den Südhängen des Leithagebirges, wo seit 3.000 Jahren Reben gezogen werden, gediehen in einem damals 15 Jahre alten Blaufränkisch-Weingarten die reifsten Trauben. Daraus gelang es Anton Kollwentz, einen sortenreinen Wein zu erzeugen, der erst dreißig Jahre später seine wahre Größe offenbart: „Dränge sie zur Vollendung hin und jage/Die letzte Süße in den schweren Wein“ (Rilke). Die Metamorphose der Pflanze, die Wandlung des Weines während der Flaschenreife, dann im Glas: „Es beharrt auf Dauer nichts in der Welt.“

Publius Ovidius Naso begleitet unsere allzu kurzen Sinneseindrücke: Duftwolken von Margeriten rauben dem Verkoster diesmal die erste, neugierige Unschuld. „Schon nahe dem Rücken hängt Phöbus und atmet seinen Hauch in fliegendes Haar.“ Mit der Luft folgen burgundisch anmutende Hagebuttenaromen, begleitet von Rhabarberkompott, Lakritze und dann Lorbeer! Es entzieht sich uns jeder flüchtige Duft, wie Daphnes Unschuld dem anstürmenden Apoll durch Verwandlung: „Wenigstens sei als Baum die Meinige, immer umwind uns das Haar, und die Leier, und die Köcher, oh Lorbeer!“ Wie die Nymphe aus dem Blätterwerk, zwinkert die Butte aus dem Glas: Ich bin es noch immer, die Rose. Die Herrliche! Bloß verwandelt und um nichts weniger tiefschürfend, ziere ich diesen Wein.

Bacchus meint es gut mit dem österreichischen Wein; leider wird er hierzulande meist zu früh getrunken, ohne ihm Raum für wunderbare Metamorphosen zu geben. Die Genesis seiner Komplexität aus tanninstrenger Jugend geht verloren.